„Erzieher“, „Konfliktforscher“, „Jugendexperte“, „Gewaltfachmann“ – die Zuschreibungen zu Allan Guggenbühl sind zahlreich. Doch wer ist Allan Guggenbühl eigentlich? Ein Annäherungsversuch an den Menschen hinter dem Etikett.
Allan, wer bist Du?
Das ist sehr schwierig zu sagen. Ich bin wie viele in einer komplexen, multikulturellen und konfusen Umgebung aufgewachsen und habe versucht, etwas daraus zu machen. Zerstreuung ist mein Lebensthema. Im Prinzip funktioniere ich aber sehr kleinräumig. Ich fühle mich wohl, wenn ich Menschen um mich herum habe, die ich gern habe, die mich anregen und von denen ich weiss bzw. hoffe, dass sie mir kein Bein stellen. Ich bin kein Socialite oder Promisüchtiger. Ich habe Freundschaften, die lange andauern; mit Wechsel habe ich Mühe. Ich bin auch eine Täuschung: Ich bin Psychologe, kann gut reden und scheinbar gut auf Menschen eingehen. Das führt dazu, dass vor allem Frauen nicht realisieren, dass ich auch ein Mann bin und ganz männliche Interessen habe. Dass ich mich zum Beispiel für Flugzeuge interessiere. Früher ist mir immer gesagt worden, ich hätte eine sehr stark weibliche Seite. Ich merke selber, dass ich mich etwas unwohl fühle, wenn ich meine männliche Seite nicht leben kann.
Du leitest das Institut für Konfliktmanagement und Mythodrama, bist Kinder- und Jugendpsychotherapeut, dozierst an der PH, hältst Vorträge und publizierst Bücher. Wieso machst Du so viel?
Ich habe gar nicht das Gefühl, viel zu machen. Ich erlebe mich selber als faul, als jemanden, der die Arbeit scheut und möglichst schnell loswerden möchte. Mir wird aber oft gesagt, ich sei eine Art Zauberlehrling: Oft gehe ich irgendwo hin und dann entsteht etwas – das verstehe ich jeweils auch nicht so ganz. Und dann entwickelt es sich weiter und wird teilweise unübersichtlich. Deshalb muss ich mich auch schützen. Ich muss mich vor Kontakten schützen, muss mich vor neuen Ideen schützen. Ich muss mich beschränken. Ich habe schon immer dazu geneigt, dass es zu viel wurde. Aber die Woche hat ja nur 8 Tage à 25 Stunden …
Du warst früher Musiker. Hat die Leidenschaft für Musik Deine Tätigkeit als Psychologe beeinflusst?
Ja, es ist immer entscheidend, für was man sich als junger Mensch als Erstes entscheidet, welche Szenerie man betritt. Bei mir waren das die Rockmusik und auch die klassische Musik – das hat mich in vielem geprägt. Psychologie kam einfach irgendwie dazu. Der Groove des psychologischen Milieus entspricht mir nicht ganz. Es ist alles sehr zurückhaltend, alles muss wissenschaftlich abgesichert sein. Eine gewisse Spielfreude, ein Mut zum Debakel fehlt.
Was inspiriert Dich?
Meistens sind es kurze Erlebnisse oder Details aus dem Alltag, die mich inspirieren – wenn ich zum Beispiel etwas auf der Strasse beobachte. Die Ideen sind dann plötzlich da, sie steigen in mir auf – und dann spüre ich es in den Fingernägeln. Ich fühle mich aber mehr als Intermediate, als derjenige, der die Ideen vermittelt. Es ist die Realität, die die Ideen produziert.
Welche Ideen geistern denn zurzeit um Dich herum?
Ich habe zurzeit zwei Projekte. Zum einen will ich mit einer Kollegin ein Buch über das Denken schreiben. Ich habe das Gefühl, dass der Geist als Irritation nicht mehr gepflegt wird. Die Geisteswissenschaft ist saturiert. Dabei ist das Denken des Menschen das Zentrale – dass er sich vorzustellen versucht, was ist und was sein könnte. Das ist viel wichtiger als all diese wissenschaftlichen Verfahren.
Das andere ist ein Entwicklungsprojekt in Georgien, wo wir versuchen, traumatisierten Kindern zu helfen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir die Verpflichtung haben, etwas für die Allgemeinheit zu tun. Und mein Anteil ist nun dieses Projekt in Georgien.
Du hast ein Buch geschrieben mit dem Titel: „Wer aus der Reihe tanzt, lebt intensiver“. Wie tanzt Du aus der Reihe?
Ich neige dazu, alles immer anders machen zu wollen. Ich erlebe mich als Contrarian. Ich bin Unternehmer, habe eine Aktiengesellschaft gegründet, obwohl man das als Psychologe eigentlich nicht macht. Auch bin ich in Japan und Taiwan tätig. Es gibt vieles, bei dem ich das Gefühl habe, dass ich aus der Reihe tanze. Zum Teil stört mich das. Ich muss mich immer wieder zivilisieren.
Du wirst nächstes Jahr 60. Wie blickst Du auf Dein bisheriges Leben zurück?
Ich werde nächstes Jahr 60? Das ist eine infame Behauptung. (lacht) Ich bin grundsätzlich zufrieden mit dem Leben, das ich hatte. Ich habe aber nicht das Gefühl, mehr erreicht zu haben als andere. Viele Menschen machen Grossartiges, ohne dass sie dafür öffentliche Anerkennung erhalten. Ich kenne einen Kellner, der es versteht, die Gäste in seinem Restaurant in gute Stimmung zu versetzen. Für mich ist das alles gleichwertig. Es gibt natürlich viele Bereiche in meinem Leben, wo ich versagt habe. Aber dazu muss man stehen. Man erreicht nie alles, was man will.
Die öffentliche Meinung über Deine Person ist gespalten. Wie gehst Du damit um?
Es ist für mich schon sehr eigenartig und befremdend, wenn Leute sich über mich persönlich äussern, ohne mich je getroffen zu haben. Viele haben recht dezidierte Auffassungen über mich als Person. Da denke ich mir: Das ist noch interessant, was die erzählen – hat das aber irgendetwas mit mir zu tun? Ich bin im Prinzip einfach der, der ich bin. Ich sage, was ich denke. Und natürlich kann man auch dagegen sein. Das stört mich überhaupt nicht. Ich erhebe keinen Anspruch auf Wahrheit.
Was macht Dich glücklich?
Es macht mich glücklich, wenn es den Leuten gut geht, die mir nahe stehen. Mit Freunden zusammenzusein oder neue Ideen zu haben. Auch Erlebnisse machen mich glücklich: zum Beispiel an den See schreiben zu gehen, das finde ich wunderschön.
Abschlussfrage: Welche Musik hörst Du am liebsten?
Ich höre gerne Jazz und klassische Musik, aber auch Geräusche. Für mich hat es überall Musik – am Bahnhof, in den Städten, auf dem Land. Ich habe die Idee, Umgebungsgeräusche zusammenzustellen und daraus etwas zu komponieren. Zuerst wollte ich etwas machen mit allen unangenehmen Geräuschen, die es gibt. Aber Kollegen haben mir davon abgeraten. (lacht)
Allan Guggenbühl stellt sich dem Entweder-oder-Spiel: „Schinken oder Käse?“ „70er oder heute?“ „Anzug oder Trainer?“ Sehen Sie selbst, für was der Tätschmeister des IKM sich entschieden hat …